Neuro-Self-Assessments – für eine individuelle Trainingssteuerung und nachhaltigen Fortschritt im Training

assessments neuroathletik trainingserfolg Sep 15, 2019

Allgemeine Aussagen dazu, wie ein Training für Fortschritt aussehen sollte, findet man in Büchern und im Internet in unzähliger Fülle. Die grundlegenden Prinzipien der Trainingssteuerung hin zu einem Fortschritt wie z.B. progressive Belastungssteigerung, Regeneration und Individualisierung werden dabei oftmals ausführlich erklärt. Letzteres bspw. betrifft i.d.R. die Faktoren Geschlecht, Alter, Trainingsniveau und -ziel sowie genetische Voraussetzungen. Es wird also versucht, anhand verschiedener individueller Gegebenheiten ein möglichst passgenaues Training zu ermöglichen – in der Intention eine gute Sache, denn mit jenen Faktoren lässt sich eine grobe Grundlage an Individualität für das Ausrichten eines Trainings erreichen. Doch reicht es auch hinsichtlich eines Fortschritts aus, sich alleine an diesen Faktoren zu orientieren?

Um ein Training wirklich individuell auszurichten, ist es notwendig, sich das neuronale Feedback des Trainierenden auf die jeweiligen Übungen und Bewegungsmuster anzuschauen – und hier liegt ein Kernproblem der Trainingswelt: die meisten Trainierenden, Trainer sowie Sportwissenschaftler wissen nicht konkret, wie dies in der Praxis funktioniert (falls sie überhaupt mal davon gehört haben).

Die Bedeutung des zentralen Nervensystems

In der Sportwissenschaft wird die Wichtigkeit des zentralen Nervensystems (ZNS), das jede Bewegung steuert und dafür zuständig ist, wie viel Leistung freigegeben wird, stiefmütterlich behandelt. Der Muskel wird als ein rein Befehlen folgendes Organ betrachtet – wie die steuernde Instanz des Muskels jedoch genauer funktioniert, scheint wenig Relevanz zu haben: hinsichtlich Steuerungsprozessen reicht der Sportwissenschaft lediglich die Information, dass Befehle aus dem Cortex kommen und über die Nerven Muskeln innervieren. Gelegentlich wird noch vermittelt, dass bei erfolgreichem Training die Anzahl der Muskelfasern, die von einem Nerv gesteuert wird, steigt und sich dadurch der Kraftoutput erhöht – die Anzahl der Muskelfasern, die von einem Nerv innerviert werden, wird dabei als motorische Einheit definiert. Mehr Tiefgang hinsichtlich Steuerungsprozessen wird jedoch nicht vermittelt, denn: das Training funktioniert ja irgendwie und ermöglicht den Trainierenden mehr oder weniger Fortschritt.

Bei einer ehrlichen Betrachtung basiert ein Großteil der Trainingslehre auf langjährig geprüften Erfahrungswerten, die nachträglich mit Studien unterfüttert wurden – was nichts Schlechtes ist. Zwar hat hierbei auch eine Art Evolution stattgefunden, in der ineffiziente Ansätze mehr oder weniger aussortiert wurden, jedoch funktionieren bestehende Trainingsmethoden, -programme und -übungen leider noch lange nicht für alle gleich. Viele Trainer verstehen ihre Arbeit im Kern darin, die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung ihrer Klienten zu erhöhen – das liegt vornehmlich daran, dass mit herkömmlichen Herangehensweisen (wie bspw. mit den o.g. Trainingsprinzipien) nicht garantiert werden kann, ob und wie der Trainierende auf das Training reagiert. Aufgrund langjähriger Erfahrungswerte und einem weit verbreiteten Bewegungsmangel, ist die Chance, den Trainierenden jedoch generell erstmal näher an sein Ziel zu bringen, nicht klein – aber eben auch nicht sicher.

Menschen sind weitaus individueller, als das, was in der Trainingspraxis i.d.R. als „individuell angepasstes Training“ verstanden wird. In der Trainingspraxis werden viele Übungen und Bewegungsmuster ins Training integriert und gehofft, dass damit die gewünschten Effekte erzielt werden, weil dies bei anderen funktioniert – ohne jedoch konkret und unmittelbar zu prüfen, ob dies bei der jeweiligen Person wirklich hilft. Wenn jedoch das ZNS als alles steuernde Instanz in die Betrachtung integriert wird, ist es möglich, die Effizienz jeder Übung direkt zu beurteilen und jedem Trainierenden somit ein wirklich individuelles und für die Person definitiv erfolgreiches Training zu bieten. Das ZNS reagiert unmittelbar und direkt auf neuen Input, der sofort einen anderen Output bedeuten kann. Deshalb lassen sich Trainingsinhalte, die aktuell keinen direkten Benefit für den Trainierenden bringen, sofort durch förderliche Trainingsinhalte ersetzen und so ein effizientes Training realisieren. Wie das ZNS genauer funktioniert könnt ihr hier nachlesen.

Trainingsindividualisierung durch Neuro-Self-Assessments

In der Praxis geht dies über Neuro-Self-Assessments: Bewegungsmuster, die uns ein einfaches und direktes Feedback unseres ZNS hinsichtlich bestimmter (Trainings-) Reize geben. Wenn unser ZNS einen Trainingsinhalt als positiv bewertet, zeigt sich dies über ein positives Assessment und vice versa. Ist ein Assessment negativ, sollte die Übung in dieser Form für einige Zeit nicht im Training vorkommen, auch wenn die Übung hinsichtlich der Mobilität und der Technik gut ausgeführt werden kann! Das ZNS zeigt in diesem Fall, dass es die Übung als aktuell nicht förderlich bzw. als Bedrohung einstuft. Hier ist es sinnvoll, eine Alternativübung zu wählen und diese ebenfalls zu testen. Es ist möglich, eine Übung wie bspw. die Kniebeuge zu trainieren und stärker zu werden, obwohl das ZNS diese aktuell als negativ bewertet. Der Körper ist sehr gut darin, Schwachstellen zu kompensieren, wodurch andere Strukturen überlastet werden – allerdings geht dies meistens nicht lange gut und es resultieren häufig kurz- bis mittelfristig Schmerzen, Verspannungen und Verletzungen.

Grundsätzlich ist das Ziel, nur Trainingsinhalte zu wählen, die das ZNS positiv einstuft, weil hier kurz- und langfristig die größten Fortschritte mit den geringsten Problemen zu erwarten sind. Trainingsinhalte mit neutralem Assessment sind aus Sicht des ZNS nicht besonders förderlich, aber auch nicht bedrohlich. Auch hier ist es sinnvoll, eine Alternative mit besserem Neuro-Feedback zu wählen, wenn dies möglich ist. Es kann sein, dass dein Nervensystem bspw. Kniebeugen als momentan nicht gute Bewegung einstuft, eine Ausfallschrittkniebeuge als eine Variante aber schon. Neutrale Assessments sollten allerdings nicht als direktes Ausschlusskriterium angesehen werden. Wenn bspw. alle ziehenden Bewegungsmuster (bilateral, unilateral, und jeweils mit Rotation) ein neutrales Feedback erzeugen, sollte nicht grundsätzlich auf ziehende Bewegungen verzichtet werden.

Wie sehen Neuro-Self-Assessments konkret aus?

Ein Neuro-Self-Assessment besteht aus einem Test, der unmittelbar nach der Trainingsübung wiederholt wird. Es ist also ein Test-Retest-Verfahren, bei dem der erste Test dazu dient einen Vergleichsmaßstab zu setzen. Hierzu können im einfachsten Fall alle möglichen Beweglichkeitstests, die schmerzfrei ausgeführt werden können, herangezogen und vor sowie direkt nach der Übung wiederholt werden. Es sind aber auch Gleichgewichts- oder Krafttests möglich. Es ist nur wichtig, dass der Test identisch wiederholt werden kann! Ein positives Assessment zeigt sich bei einem Beweglichkeitstest durch eine unmittelbare Verbesserung der Beweglichkeit. Wenn bspw. das Gleichgewicht als Assessment herangezogen wird, sollte es im Falle eines positiven Feedbacks einfacher fallen bzw. länger gehalten werden können. Auch eine Ganganalyse ist eine gute Assessment-Option, die allerdings ohne geschulten Trainer nicht sinnvoll ist.

In der Praxis kann so jeder Trainingsinhalt hinsichtlich seines Werts für den Trainierenden bewertet werden. Vielleicht hört sich dies zu schön und einfach an, um wahr zu sein – und doch funktioniert es. Auf diesem Wege lassen sich für jeden Trainierenden individuell entsprechend des neuronalen Feedbacks diejenigen Trainingsinhalte auswählen und steuern, die die größten Fortschritte ermöglichen. So kann Fortschritt kurz- und langfristig effizienter garantiert werden, vorausgesetzt wir testen regelmäßig und achten auf positives neuronales Feedback.

Quellen:

Cobb, W. E. (2013): Certification Workbook – Z-Health R-Phase 2.0.
Cobb, W. E. (2017): Certification Workbook – Z-Health I-Phase 2.0.
Pürtzel, A. & Pürtzel, A. (2015): Trainingsplanung (2.Auflage).
Kruse, T. (2016): Learn how to measure the progress of each exercise in the moment. Zugriff am 27.12.2017 unter: https://www.themovproject.com/blog/learn-how-to-measure-the-progress-of-each-exercise-in-the-moment.
Nguyen, T. (2016): The truth about baselining: Are you assessing or guessing? Zugriff am 27.12.2017 unter: http://neuro-athletic-training.com/277-are-you-assessing-or-guessing/.
Nguyen, T. (2016): How barbell work can hinder progress and how to optimise it. Zugriff am 27.12.2017 unter: http://neuro-athletic-training.com/488-how-barbell-work-can-hinder-progress-and-how-to-optimise-it/.
Z-Health Performance Solutions (2014): Why symmetry may be your biggest enemy. The Neurology of unilateral vs. bilateral training. Zugriff am 27.12.2017 unter: http://zhealtheducation.com/docs/Unilateral%20vs%20Bilateral.pdf.